Islamische Zeitung, Germany: May, 17th. 2004


AHMAD-NURANI KRAUSEN wurde 1955 in Aachen als Sohn einer protestantischen Familie geboren. 1978 siedelte er nach Dänemark um und beendete 1989 eine Ausbildung zum Maschinenbautechniker. Vom Ende der siebziger Jahre bis 1985 bereiste Ahmad-Nurani Krausen unterschiedliche Länder in Asien und Afrika und trat 1992 zum Islam über. Er ist Vater zweier Kinder.

ISLAMISCHE ZEITUNG:

Herr Krausen, Sie sind im rheinischen Aachen geboren, leben aber seit mehr als 25 Jahren im dänischen Kopenhagen. Können Sie uns kurz etwas über Ihren Weg zum Islam und Ihren Werdegang erzählen?

AHMAD-NURANI KRAUSEN:

Ich bin in Aachen in einer strengen protestantischen Familie - inmitten einer katholischen Umgebung - geboren und aufgewachsen. Dies hatte von Beginn an eine große Wirkung auf mich, da ich mich schon in jungen Jahren sehr für Theologie interessiert habe. Ich war sehr neugierig, auch etwas über das Leben der Katholiken zu erfahren. Meine Mutter wollte mich mit Zwang davon abhalten, aber die Neugier war stärker. Ich war später als Protestant auch in katholischen Kreise aktiv, so haben wir beispielsweise alternative Messen veranstaltet. Nebenbei war ich natürlich auch politisch aktiv. Ich war Kommunist gewesen und ein kleines Buch - "Revolution - Aufgabe eines Christen" von Camillo Torres - hat mich sehr beeindruckt. Als junger Mensch war das genau das, was ich brauchte, da ich nach Antworten einerseits in meinem Verhältnis zu Gott und andererseits zu gesellschaftlichen Fragen suchte. Dies hat aber nicht lange gehalten und so habe ich 1978 nach einigen Misserfolgen meine Sachen gepackt und Deutschland verlassen. Ich bin nach Dänemark gegangen, wo ich nicht nur meine persönliche Ruhe gefunden habe, sondern auch neu anfangen konnte. Von 1978 an bin ich viel gereist. Das erste Mal kam ich in die Türkei nach Konya und nach Istanbul. 1979 begannen die großen Reisen nach Ostafrika, Ägypten, Sudan, Kenia, und nach pakistanischen Kaschmir sowie in den Fernen Osten, wo ich jeweils mehrere Monate verbracht habe.

ISLAMISCHE ZEITUNG:

Hatten die Muslime damals, im Rückblick betrachtet, einen anderen Eindruck gemacht als heute?

AHMAD-NURANI KRAUSEN:

Ja, zuerst einmal hatten die Muslime damals wesentlich mehr Humor als heute und zweitens waren sie sehr tolerant. Ich war ja zu diesem Zeitpunkt kein Muslim, hatte lange Haare und kam gerade von der Hippie-Bewegung. Die Leute haben mich gesehen und mich akzeptiert. Ich habe zum ersten Mal erlebt, dass die Menschen mich so behandelt haben, wie ich bin; das waren die Muslime.

ISLAMISCHE ZEITUNG:

Was war dann der Ausschlag gebende Punkt für Sie, zum Islam zu finden?

AHMAD-NURANI KRAUSEN:

Ich glaube, dies waren die Erlebnisse auf meinen Reisen, die ich hatte. Ich war ja nicht nur in muslimischen Ländern, sondern auch in Indien und in Neuseeland und wollte verschiedene Lebensweisen sehen.

Was mich sehr stark bewegt hat war ein Ägypter in Assuan, der mich provozierend gefragt hatte, warum ich denn Muslim werden wolle, ich käme ja aus der reichen Welt und der Islam wäre doch etwas für die armen Leute. Ich antwortete ihm, da könnte er recht haben, aber dies sei der Grund, warum ich hier in seiner Heimat bin, denn ich möchte gerne arm werden. Da hatte er eine kleine Träne in seinen Augen. Er umarmte mich und sagte: "Inscha'Allah wirst du Islam finden", womit er auf jeden Fall Recht gehabt hatte. Das war ein sehr bewegendes Erlebnis, weil dies eine andere Realität zu unserer Welt des unbeschränkten Konsums war. Die ganze Freundschaft und das soziale Leben können nicht aus dem Nichts kommen, sie müssen irgendwo herkommen.

Eigentlich ist es dass, was ich schon früher gesucht habe: das soziale Engagement und die Verantwortung gegenüber Gott, was mich sowohl bei den Kommunisten wie auch bei den Katholiken anzog. Hier aber hatte ich die Verantwortung gegenüber dem Menschen und gegenüber Gott in einer Einheit gefunden, das war Islam.

ISLAMISCHE ZEITUNG:

Sie arbeiten mittlerweile als Fotograf und haben muslimisches Leben in verschiedenen Regionen Europas - Großbritannien, Skandinavien, Deutschland und Polen - dokumentiert.

AHMAD-NURANI KRAUSEN:

Ja, ich habe schon am Anfang "wild" fotografiert, nur dadurch lernt man. Ich habe viel auf meinen Reisen nach Asien und Afrika fotografiert. Ich glaube, die Fotografie hat auf meinem spirituellen Weg die wichtigste Rolle gespielt. Eine meiner Schwächen ist, dass ich nicht gerne lese und darum bin ich darauf angewiesen zu beobachten und zuzuhören. Die Fotografie hat mir dabei geholfen, Erlebnisse festzuhalten, die mir sehr wichtig sind. Man sagt ja auch: "Ein Bild sagt mehr als tausend Worte." Wenn ich mir heute meine alten Fotos anschaue, dann erzählen sie Geschichten aus meiner Vergangenheit. Meine systematische fotografische Arbeit in Europa begann 1998. Allerdings hatte ich den Anstoß schon 1997 in London beim Anblick der Moschee am Regents' Park erhalten, nachdem ich mir einen Bildband mit Namen "The Mosque" gekauft hatte. Dort waren sehr beeindruckende Moscheen von Kairuan über Istanbul bis Karatschi mit sehr schönen Begleittexten abgebildet, aber keine Moscheen aus Europa. Das fand ich schade, denn ich saß gerade vor der in London und war der Ansicht, dass auch diese eigentlich in den Bildband gehörte. Dann fing ich an, die Moschee zu fotografieren. Nach meiner Heimkehr begann ich, die fotografische Aufarbeitung muslimischer Architektur und muslimischen Lebens in Europa systematisch anzugehen. Man darf ja nicht vergessen, dass unsere Wurzeln als Muslime in Europa sehr alt sind; in Spanien, im gesamten Balkan und, wie ich 2001 entdecken durfte, die Tataren in Osteuropa. Bei meinem ersten Besucht mit meiner Frau in Danzig machte ich so positive Erfahrungen, dass im darauf folgenden Jahr alleine bis nach Ostpolen gefahren bin.

ISLAMISCHE ZEITUNG:

Geht es bei Ihren Bildern mehr um ein ästhetisches Interesse oder auch darum, muslimisches Leben zu zeigen?

AHMAD-NURANI KRAUSEN:

Ich glaube beides, denn die Architektur ist ja ein Ausdruck des Lebens. Wenn ich mir manche Kalligrafien in den europäischen Moschee angucke, die ja doch sehr schön gemalt sind, so wird deutlich, dass da doch Liebe dahinter steckt und dass es doch Muslime waren, die das gemalt haben. Man kein beides nicht voneinander trennen.

ISLAMISCHE ZEITUNG:

Obwohl wir eine visuelle Gesellschaft sind, schwindet gleichzeitig die Fähigkeit genauer hinzusehen, Nuancen zu bewerten und zu schätzen. Sehen Sie ihre Arbeit auch als Schulung zum längeren, unaufgeregten Blick?

AHMAD-NURANI KRAUSEN:

Was ich eigentlich möchte, ist den Leser zur langen Betrachtung anzuregen. Darum versuche ich auch schöne Bilder zu machen. Ich sitze manchmal stundenlang in der Moschee, um auf den richtigen Moment zu warten. Ich knipse nicht willkürlich, sondern warte auf den Augenblick, indem mir das Licht sagt: "Jetzt musst du draufdrücken!" Ich möchte sowohl Muslimen wie Nichtmuslimen die Gelegenheit geben, Bilder in Ruhe zu betrachten.

ISLAMISCHE ZEITUNG:

Wie ist die Reaktion der Muslime auf Ihre Arbeit? Erhalten Sie Unterstützung?

AHMAD-NURANI KRAUSEN:

Zum größten Teil reagieren die Muslime positiv. Zu Anfangs weigern sich viele Muslime, sich fotografieren zu lassen, da sie schlechte Erfahrungen mit der Presse gemacht haben und in einen Zusammenhang mit Themen gebracht wurden, die nichts mit der Entstehung der Aufnahmen zu tun haben. Das kann ich verstehen, darum liegt meine Schwierigkeit darin, ihnen zu erklären, dass ich Muslim bin und dass ich nicht von der Presse komme. In den meisten Fällen endete die zuerst ablehnende Haltung aber in positiven Erlebnissen. Beim Fotografieren der Moscheen habe ich nur positive Reaktionen gemacht, da mir als Muslim die Räumlichkeiten frei zugänglich waren.
Ein praktisches Feedback gab es allerdings noch nicht. Obwohl viele Muslime die Arbeit gut fanden, hapert es doch ganz bei der finanziellen Unterstützung, wo ich leider enttäuschende Erfahrungen gemacht hatte. Ich bin im Oktober in Qatar gewesen, wo ich mit arabischen Empfehlungsschreiben und einer Dokumentation meiner Arbeit die reichen Familien besucht habe. Ich wurde zwar als Muslim gut behandelt, allerdings ist es in Qatar so, dass dort eher überalterte Fußballspieler gutes Geld verdienen können. Ich finde, dass gerade die Golfstaaten - vor allem nach dem 11. September - in der Lage sind und sein sollten, solche positiven Projekte zu finanzieren. Ich glaube, es sollte auch im Interesse der Araber sein zu zeigen, wie die Muslime in Europa leben.

ISLAMISCHE ZEITUNG:

Insbesondere der Islam und die Muslime werden - zumeist negativ - durch Bilder wahrgenommen: Zwei Fragen:
a) wie wichtig sind Bilder bei der Haltung der Menschen zum Islam und
b) müssen Muslime positive Bilder prägen?

AHMAD-NURANI KRAUSEN:

Ich glaube, dass Bilder eine immer stärker werdende Rolle spielen werden. Schon alleine deshalb, weil die jüngeren Generationen einen immer geringeren Zugang zum Lesen haben. Wer liest denn heute noch Bücher? Die Zukunft des Buches wird aus einer Mischung aus Text und aus Bild bestehen. Die Kunst ist es, einen guten Text mit einem guten Bild zu versehen und umgekehrt. Ein guter Fotograf und ein guter Verfasser müssen zusammen arbeiten, woraus eine höhere Einheit entstehen könnte.

Ich glaube, dies ist für uns Muslime sehr wichtig. Wenn ein englischer Verfasser ein Buch darüber schreiben kann, warum er kein Muslim sei und dafür eine große Öffentlichkeit erhält, dann glaube ich, dass wir anfangen sollten uns so zu präsentieren, wie wir sind und warum wir Muslime sind. Die Fotografie kann dabei eine große Rolle spielen und es gibt zuwenig muslimische Fotografen, die dies im Augenblick leisten können. Ich kenne nur einen persönlich: Peter Sanders aus London.

ISLAMISCHE ZEITUNG:

Es fehlt also die Bereitschaft oder die Fähigkeit, positive Gegenbilder zu prägen?

AHMAD-NURANI KRAUSEN:

Auf jeden Fall. Wenn hier in Kopenhagen ein rechter Politiker öffentlich spricht, dann kommen hunderte oder tausende Muslime, um dagegen zu protestieren, aber sie gehen nicht in ein Museum. Die weichen, die menschlichen Themen kommen einfach zu kurz.

ISLAMISCHE ZEITUNG:

Sie verweisen in Ihrer Dokumentation auf die Bedeutung des Lichts und zitieren dabei den berühmten Lichtvers aus dem Qur'an (An-Nur, 35). Das Licht ist im Islam ja nicht nur gleichnishaft, sondern beispielsweise in der Architektur Sinans beinahe schon ein greifbarer Gegenstand.

AHMAD-NURANI KRAUSEN:

Licht spielt natürlich, allein rein technisch betrachtet, die wichtigste Rolle, denn ohne das Licht kann man kein Foto machen. Mit dem Licht kann man viel ausdrücken. Ein Beispiel dafür ist eine Moschee, die ich im schwedischen Uppsala aufgenommen habe. Bei ihr spielt das Licht eine große Rolle, denn es hat beinahe schon einen dreidimensionalen Effekt. Es schafft eine herrliche Wärme, wenn man in der Moschee ist. Sie wurde gebaut von einem schwedischen Architekten, der selber auch Muslim ist. Er sprach selber von einer Harmonie zwischen der Moschee und der schwedischen Natur. Das Licht spielt ja in Skandinavien eine ungeheure Rolle, denn im Winter gibt es davon nicht viel und umso mehr leben sie in den wenigen Sommermonaten auf.

ISLAMISCHE ZEITUNG:

Sehr geehrter Herr Krausen, wir danken Ihnen für dieses Interview.

Als letzte Frage würde ich gerne hinzufügen, was Ihre nächsten Projekte sind. Vielleicht könnten Sie dies noch ergänzen?

Eins meiner nächsten Projekte wird es sein-zusammen mit meiner Familie am liebsten- die Heimat meiner Frau zu besuchen: Somalia. Bei dieser Gelegenheit möchte ich Somalia vom Norden bis in den Süden bereisen und fotografisch dokumentieren, und zwar von einem anderen Winkel wie wir es normalerweise nicht von der Presse gewohnt sind. Aber dafür muss das Land und die Menschen erst wieder zur Ruhe kommen.

 

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